Samstag, 5. September 2009

Sehr geehrter Herr Bürgermeister

Georg Willi und ich haben einen Brief an die Bürgermeister in Tirol geschrieben, in deren Gemeinden derzeit Rettungs-Ortsstellen sind. Hier zum Nachlesen:

Landtagsabgeordneter Gebi Mair

Klubobmann Georg Willi

Innsbruck, 4.9.2009

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

der Tiroler Landtag hat bekanntlich in seiner Juli-Sitzung gegen die Stimmen der Grünen das neue Rettungsdienstgesetz beschlossen. Wie Ihnen bekannt ist, geht mit diesem Gesetz die Kompetenz zur Organisation des Rettungswesens von den Gemeinden auf das Land über. Das Gesetz tritt mit 1. Oktober in Kraft, im Anschluss werden wir Grüne eine Beschwerde gegen das Gesetz beim Verfassungsgerichtshof einbringen, weil wir es in mehreren Punkten für verfassungswidrig halten.

Wir wenden uns nun aber an Sie, weil wir Sie über die Auswirkungen des Rettungsdienstgesetzes auf Ihre Gemeinde informieren wollen:

Sie haben sich an vieles gewöhnt, und auch die BürgerInnen der Tiroler Gemeinden haben sich an vieles gewöhnt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es in vielen kleinen Gemeinden keinen Nahversorger mehr gibt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es kein Postamt mehr im Ort gibt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass es kaum mehr öffentliche Telefonzellen gibt. Sie haben sich daran gewöhnt, dass Internate in Tirol geschlossen wurden und SchülerInnen häufig weit zur Schule fahren müssen. Sie haben sich an vieles gewöhnt.

Aber werden sich die BürgerInnen Ihrer Gemeinde auch daran gewöhnen, dass es keine Rettung mehr im Ort gibt?

Die Tiroler Landesregierung hat, obwohl das Gesetz noch nicht einmal in Kraft getreten ist, bereits mit der Ausschreibung des bodengebundenen Rettungsdienstes in Tirol begonnen. Diese Ausschreibung erfolgt EU-weit, und wir können sie Ihnen bei Interesse gerne im Original zukommen lassen. Der Kern der Ausschreibung sind die Zuschlagskriterien, nach denen die Angebote bewertet werden, die wir Ihnen kurz darstellen dürfen:

IV.2) ZUSCHLAGSKRITERIEN

IV.2.1) Zuschlagskriterien:

Wirtschaftlich günstigstes Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien:
1. Preis. Gewichtung: 58.
2. Qualität. Gewichtung: 30.
3. Sanitätsdienstliche Organisation bei Großunfällen. Gewichtung: 4.
4. Sozialpolitisches Engagement. Gewichtung: 8.

Hier sehen Sie, nach welchen Kriterien die Tiroler Landesregierung den Zuschlag für das bodengebundene Rettungswesen erteilen wird. Der Preis schlägt die Qualität im Verhältnis 2:1. Und das sozialpolitische Engagement, in dem die Arbeit der Freiwilligen enthalten ist, fällt mit 8 Prozent nicht mehr ins Gewicht. Jeder potentielle Anbieter, und private Anbieter stehen neben den bisherigen Anbietern Rotes Kreuz und Arbeiter-Samariterbund bereits in der Warteposition, weiß worauf er setzen muss: Das ausschlaggebende Kriterium für das Rettungswesen in Tirol ist der Preis.

Entgegen den öffentlichen Beteuerungen von Landesrat Bernhard Tilg findet sich in der Ausschreibung keinerlei Bewertung eines regionalen Angebots. Ein Anbieter, der Infrastruktur weiterhin in den Gemeinden vorhalten will, wird nicht dafür belohnt. Ausschlaggebend ist der Preis. Und ein Anbieter, der auf aufwändige Infrastruktur in den Gemeinden verzichtet, wird einen billigeren Preis bieten können.

Bereits jetzt sehen wir die Auswirkungen, die ein derartiges Verständnis des Rettungswesens in Tirol hat. Dort, wo die Leitstelle Tirol den Rettungsdienst disponiert, werden Einsatzkräfte zur sogenannten „Flächendeckung / Gebietsabdeckung“ durch die Gegend geschickt. Das bedeutet, dass die Retter dann nicht in der Ortsstelle auf den nächsten Einsatz warten, sondern in ihrem Fahrzeug auf einem Parkplatz, der einsatztaktisch günstiger liegt. Glauben Sie, dass Freiwillige das mit sich machen lassen? Mit dem Rettungsdienstgesetz soll ganz Tirol durch die Leitstelle Tirol disponiert werden, mit Ausnahme Osttirols – doch halt: auch hier handelt es sich nur um eine mündliche Zusage des Landesrates, im Gesetz ist davon nichts zu lesen. Und wie es sich beim Gesundheitslandesrat zwischen öffentlichen Aussagen und den tatsächlichen Verhandlungen verhält, das konnten Sie bereits anhand unseres Beispiels der Ausschreibung sehen.

Warum schreiben wir Ihnen diesen Brief? Wir möchten Sie warnen. Wir glauben nämlich, dass Sie nicht davon ausgegangen sind, dass Ihre Ortsstelle im Zuge der Neuorganisation des Rettungswesens möglicherweise geschlossen wird. Derzeit befinden wir uns jedoch auf einem Weg, wo diese Gefahr droht. Sie betrifft kleinere, sogenannte „unrentable“ Ortsstellen, aber auch größere Ortsstellen. In einer Vorbesprechung, die der Grüne Klub mit dem Gesundheitslandesrat zum Rettungsgesetz hatte, hat die zuständige Beamtin erklärt: „Warum soll man den Tiroler Rettungsdienst nicht auch von einem Containerdorf in Innsbruck aus organisieren können?“

Wir halten diese Entwicklung für eine massive Gefahr. Und wir sind der Überzeugung, dass auch Ihre WählerInnen diese Entwicklung nicht gutheißen werden. Die WählerInnen werden sich an Sie wenden und fragen: „Bürgermeister, wo ist unsere Rettung?“ Dann werden Sie erklären müssen, was geschehen ist.

Es sei denn, es gelingt uns noch, diese Entwicklung aufzuhalten.

Vielleicht haben Sie in den vergangenen Tagen gelesen oder gehört, dass es im Warn- und Alarmierungssystem des Landes Tirol (WAS) ein massives Datenleck gibt. Dieses Datenleck stellt nicht nur ein Problem des Datenschutzes dar, weil PatientInnendaten einsehbar waren. Dieses Datenleck bedeutet auch, dass es unter Umständen für private Anbieter in der Ausschreibung der Rettungsdienste möglich ist, sich Einblick in die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der derzeitigen Anbieter zu verschaffen. Wer genau weiß, wie viele Einsätze welcher Art gefahren werden, wie viele Kilometer nötig sind, wie viele Leerfahrten passieren, der kann sich mit dieser Information in die Lage versetzen, knapp aber doch günstiger anzubieten als die bisherigen Rettungsorganisationen. Die Folge wären vermutlich lange Prozesse um die Frage des unlauteren Wettbewerbs. Dann gibt es vielleicht eine Zeit lang gar keine Rettungsdienste, wenn die Tiroler Gemeinden bereits beginnen, die Verträge mit den Rettungsorganisationen aufzukündigen. Und welcher Anbieter sich schlussendlich durchsetzt, das weiß keiner.

Wir haben deshalb an die Landesregierung geschrieben, dass wir glauben, dass die Ausschreibung für die Rettungsdienste jetzt gestoppt werden muss. Hier wird mit der Sicherheit der BürgerInnen und mit der Infrastruktur in den Gemeinden gespielt. Der Ausgang ist ungewiss. Wir haben bisher jedoch keine Antwort von der Landesregierung darauf erhalten.

Wir sind jedoch der Ansicht, dass es helfen würde, wenn Sie als Standortbürgermeister einer Rettungs-Ortsstelle, Ihre Bedenken – so Sie welche haben oder unsere Bedenken teilen – der Landesregierung mitteilen. In der Regierung muss verstanden werden, dass dieser Weg bedrohlich ist, und wir gehen davon aus, dass Sie in der Lage sind, sich Gehör in der Landesregierung zu verschaffen.

Es darf einfach nicht so über die Interessen der BürgerInnen hinweg gefahren werden. Wir ersuchen Sie deshalb darum, im Sinne eines qualitativ hochwertigen Rettungswesens in Tirol bei der Landesregierung und den Tiroler Medien entsprechend tätig zu werden. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Schritt jetzt notwendig ist.

Wir danken Ihnen für Ihre Zeit, sich mit dem Rettungswesen in Tirol zu beschäftigen und auch unsere Position zu lesen. Selbstverständlich stehen wir Ihnen für weitere Fragen gerne zur Verfügung und würden uns freuen, wenn wir Sie dabei unterstützen können, die Rettungs-Infrastruktur in Ihrer Gemeinde zu erhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Gebi Mair

Georg Willi

Abgeordnete zum Tiroler Landtag

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

der brief is okay und auch meine meinung. nur die vergleiche sind etwas dumm. kein normaler mensch stellt telefonzellen auf, wo praktisch jeder bergbauer a handy hat.
das nur so nebenbei.