über meinem Schreibtisch hängt eine Postkarte von dir. Darauf steht: "Lieber Gebi, deine Wünsche haben mich ganz besonders gefreut!" Nun ist dein Lebensweg zu Ende, ich will aber für andere Menschen einige Zeilen über dich schreiben, wie ich dich erlebt habe.
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Gebi Mair, Hilde Zach 2006 |
Ich habe diese Postkarte über meinem Schreibtisch von Hilde Zach, der gestern Abend verstorbenen Innsbrucker Bürgermeisterin bekommen, nachdem sie im März 2010 zurückgetreten war und ich ihr in einem persönlichen Mail die besten Genesungswünsche geschickt hatte. Keine Selbstverständlichkeit unter politischen KontrahentInnen, in beide Richtungen nicht.
Irgendwie konnte ich nie anders: ich musste diese Frau gern haben. Auch wenn ich vieles von dem, was sie politisch machte, falsch fand. Auch wenn wir uns im Innsbrucker Gemeinderat über einander ausreichend oft geärgert haben. Nachdem sie sich bei einer Innsbrucker JungbürgerInnenfeier wieder einmal unmöglich benommen hatte ("Gebi, sag mir: bin ich alt oder ist das ganz schlechte Musik?") und in der Pause aus dem Landestheater hinausgestürmt war, fiel sie die Stufen hinunter. Doch anstatt sich helfen zu lassen, sprang sie auf, rief den Umstehenden zu "Bürgermeisterin gestürzt", brummelte irgend etwas dass sie noch in den Stadtsaal müsse der Feuerwehr gratulieren, und schon stöckelte sie davon. Wie soll man so jemandem böse sein?
Ein tiefgründiger, aber geradliniger Humor ("Gute Besserung, Gebi!" - "Wieso?" - "Na, dass du dich einmal besserst!") war vielleicht ihre stärkste Waffe, die ich in der persönlichen Begegnung mit ihr erlebt habe. Dieser Humor betraf durchaus nicht nur andere, sondern auch sie selbst. So manche Bemerkungen von ihr habe ich noch im Kopf, als ob es gestern gewesen wäre. Nachdem der damalige Vizebürgermeister Eugen Sprenger einige Tagesordnungspunkte "in cumulo", also gemeinsam abstimmen lassen hatte und anschließend aufs Klo ging, feixte Zach den ganzen Abend weiter, Sprenger sei wahrscheinlich schon wieder in Cumulo.
Hilde Zach war keine Feministin. Dennoch gehört es auch zu ihren Verdiensten, den Weg dafür bereitet zu haben, dass der Innsbrucker Stadtsenat mehrheitlich weiblich besetzt werden konnte (4:3). Und auch, dass ihr als erster Frau als Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt wieder eine Bürgermeisterin folgte, war ihrem Wirken zuzuschreiben. Mit ihrem resoluten Auftreten und ihrer selbstverständlichen Annahme, Menschen nach ihrer Leistung zu behandeln, erwarb sie sich ihre Verdienste um die Gleichstellung von Frauen eher nebenbei als bewusst.
Am höchsten rechne ich ihr insgesamt vielleicht an, dass sie keine Entscheidungen traf, die sie nicht verstand. Legendär waren unter den BeamtInnen der Stadt die Nachfragen, warum etwas so sei und nicht anders. Und ob man es auch anders machen könne. Und wenn nein, warum nicht. Ihre Schlüsse in politischen Fragen waren durchaus nicht immer die gleichen wie ich sie zog, aber ich glaube behaupten zu können, dass sie immer verstand was sie tat.
Zu verstehen, welche politischen Handlungen man setzt, dazu gehört eine Portion Fleiß. Und den hatte Hilde Zach. Nicht umsonst ging der Witz um, Hilde Zach steige in ein Taxi ein und verlange vom Fahrer, loszufahren. Auf die Frage "Frau Bürgermeisterin, wohin?" antortet sie "Das ist ganz egal, ich werde überall gebraucht." Dass jemand nicht so viel leisten konnte oder wollte, das konnte sie dabei nie verstehen. Sie hatte sich ihre Positionen erarbeitet, und ihr war nichts geschenkt worden. Dass sie schon in ihrem Bildungsweg gegenüber ihrem Bruder zurückstehen musste und nie akademische Weihen erlangen konnte, hinderte sie nicht daran, auf anderen Wegen an ihrem Erfolg zu arbeiten. Dass andere nicht ebenfalls von sich aus so erfolgreich sein konnten, das konnte sie einfach nicht nachvollziehen. Und umso mehr respektierte sie es, wenn jemand mit Fleiß und Ausdauer Leistung erbrachte.
Diese Eigenschaft hinderte Hilde Zach nie daran, ein herzensguter Mensch zu sein. Wenn sie in der Maria-Theresien-Straße Jugendliche anherrschte, sie sollten doch den Müll aufheben, der herumlag, dann stand dahinter das Verständnis, jeder sei dafür verantwortlich, dass es allen Menschen gut gehe. Keineswegs war dies so von oben herab gemeint, wie es manchmal klang. Als wir nach der Gemeinderatswahl 2006 in Koalitionsverhandlungen mit ihr standen, wollten wir einen neuen Termin für eine Verhandlung vereinbaren. Bei einem möglichen Termin sagte ich halblaut "Da ist Queer in Kufstein", eine lesbisch-schwule Party. Und Zach, mit ihren aufmerksamen Ohren, stellte unmissverständlich für alle fest: "Wenn der Herr Gebi da auf die Party muss, dann können wir da nicht verhandeln!"
Vieles wird derzeit geschrieben über Hilde Zach, vieles noch geschrieben werden. Mit einigem Abstand wird man sicher auch ihre politische Arbeit rationaler beurteilen können. Wie sie das BürgermeisterInnen-Notrecht ausnutzte, um ihren politischen Willen gegen die Mehrheit durchzudrücken zum Beispiel. Das wird alles geschehen, muss jetzt aber nicht sein. Für mich steht jetzt einmal die Bewunderung dafür da, mit welcher Selbstdisziplin Hilde Zach an ihr Werk ging. Ihre jetzige Krankheit war nicht ihr einziges Leiden, das sie durchgemacht hat. Immer hat sie im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammengebissen und sich durchgekämpft, auch gegen Schmerzen. Viele Menschen werden gar nicht gemerkt haben, wie lange sie bereits täglich in medizinischer Behandlung war. Mit der ihr eigenen energischen Art konnte sie FotografInnen davon überzeugen, keine Fotos von ihr zu schießen, wenn sie aufgrund ihrer Krankheit mit verzerrtem Gesicht zu sehen war. Und wenn der Schmerz zu groß wurde, dann verabschiedete sie sich kurz, nur um danach mit noch mehr Energie zurückzukehren.
"Isch dir nicht kalt?" war der letzte Satz, den ich persönlich von ihr gehört habe, bevor sie wieder einmal auf der Straße davonstöckelte. Sie sorgte sich wirklich um alle Menschen. In den letzten Wochen hat sie sich, wie es ihre Art war, von Freunden und WegbegleiterInnen verabschiedet. Sie wusste, sie war auf ihrem letzten Weg. Auch den hat sie mit Verve ertragen.
Liebe Hilde, wenn ich an dich denke, dann überkommt mich Bewunderung. Bewunderung dafür, wie du dich unter Aufgabe deiner selbst für andere eingesetzt hast. Bewunderung dafür, wie du dich durchgesetzt hast und dennoch immer ein ganzer Mensch geblieben bist, mit Gefühlen für dich und andere. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sagen kann, vor dir ziehe ich den Hut. Mach's gut!
Hilde Zach
25.8.1942-15.1.2011