Mittwoch, 3. Dezember 2008

Ist das noch Journalismus?

Heute erreichte mich ein Brief, der nach einem Artikel in der Tiroler Woche geschrieben wurde. Ich finde, er trifft so manchen Nagel auf den Kopf und darf ihn mit Erlaubnis des Verfassers hier veröffentlichen:

Ist das noch Journalismus?

Der Aufmacher-Titel „Tierschutz-Chaoten sorgen für Unmut“ in der ‚Tiroler Woche’ vom 27. Nov. 2008 lässt aufhorchen. Die natürliche Reaktion der LeserInnen ist die Frage: Unmut bei wem? Wie? Wann? Vielleicht bei dem feschen Trio in dem flotten Cabrio (?) unter der Überschrift?


Vorweg: Man sucht im Artikel (S. 2-3) vergeblich nach einer vernünftigen Antwort. Wer ist die „Bevölkerung“? Sind das diejenigen, die die Redaktionsstuben des Artikelschreibers „bevölkern“? Dafür finden sich zwei Bilder auf S. 2: 1. ein kreuztragender Tierschützer mit der Legende: „Am Karfreitag griff die Polizei bei einer Demo ein.“ War das gestern? Nicht gerade hochaktuell also; 2. ein Porträtbild mit der Legende: „Martin Balluch, Aktivist und Grünen-Mann, traf sich in Innsbruck mit seinen Anhängern. Eigener (!) Saalschutz versperrte Kritikern die Tür.“ Der Titel dieses Artikels liest sich, als ob sich die Landeshauptstadt im Kriegszustand befände: „Tierschützer rüsten Innsbruck auf“. Und nun liest man: „In der vergangenen Woche startete die Tierschutzszene in Innsbruck.“, um gleich darauf zu erfahren, dass die Tierschützer – ja, wie lange schon? – durch „wöchentliche Protestkundgebungen“ und „Umzüge“ auffallen. Ja, was „startet“ denn nun also? Die „Aufrüstung“? Die „Szene“? Denn beim Vortrag von DDr. Balluch haben sich laut Artikelschreiber „knapp 50 der Szene zuzurechnende Personen“ eingefunden. Um welche „Szene“ handelt es sich denn da? Ein VerbrecherInnen-Syndikat? Eine Mafia-Vereinigung? Und kennt der Artikelschreiber all diese „knapp 50“ Personen? Und kann er sie also einer bestimmten „Szene“ zuordnen? Vielleicht weil genau diese durch Zerstörungen und Gewaltexzesse unbeschreiblichen Ausmaßes in der „Landeshauptstadt“ aufgefallen sind?

Und dann wird der „Klubobmann Rudi Federspiel“ zitiert (er „wettert“), der schon „seit Jahren […] mit der Wirtschaft gegen diese ‚Hetzer und Zerstörer’ [kämpft]“. Er weiß nämlich, dass es ihnen nicht um „das Anliegen“ (?) geht, sondern dass sie „Teil einer internationalen finanzschweren Gruppierung sind, die andere Firmen terrorisieren um den Markt zu beherrschen“. Herr Federspiel hat offenbar nur ihm zugängliche Informationen über „diese Gruppe“, auf die „man gerne verzichten [kann]“. Und weiters werden FPÖ- und ÖVP-Granden zitiert, die allesamt mit rechtlichen Konsequenzen drohen, sollte es, ja, „sollte es“ im Rahmen der Aktionen der Tierschützer zu ungesetzlichen Handlungen oder „Gesetzesbrüchen“ kommen.


Das scheint nun das eigentliche Problem zu sein: Es ist offenbar bisher noch nie zu „ungesetzlichen Handlungen“ gekommen, so sehr sich das die genannten Politiker und offenbar vor allem der Artikelschreiber wünschen mögen. So stellt sich mir als Fazit die Frage, wer denn nun eigentlich die „Chaoten“ sind. Und wer rüstet Innsbruck auf? Und wer sind wirklich die ‚Hetzer und Zerstörer’? Etwa jene, die von ihrem „Recht auf freie Meinungsäußerung“ (Gerhard Fritz, Klubobmann der Grünen) Gebrauch machen und sich für den Schutz und die Rechte der Tiere einsetzen, oder jene, die gegen friedliche Demonstranten hetzen, Halb- und Unwahrheiten gegen sie verbreiten und schäbige, miese (gekaufte?) Artikel gegen sie schreiben. Denn dieser Artikel ist kein seriöses journalistisches Erzeugnis, sondern ein widerliches, gehässiges Pamphlet. Ich frage mich, wie ich mich dagegen wehren kann, ein Medienerzeugnis mit abstoßenden Artikeln dieser Machart in meinem Postkasten vorzufinden.


Ao. Univ.-Prof. Dr. Max Siller, Innsbruck

http://www.uibk.ac.at/germanistik/mitarbeiter/siller_max/index.html


PS: Dem Artikel-Schreiber wäre im Übrigen ein Blick in seine Deutsch-Grammatik zu raten: „Manch Innsbrucker Bürger“ würde ihm sein Volksschullehrer nicht durchgehen lassen. Vollends daneben geraten manche Konstruktionen im ‚Kommentar’ (S. 3), wo von „rechtliche[n] Rahmenbedingungen von [!] Tieren“ die Rede ist sowie davon, dass „den radikalen und ethischen Strömungen […] klar widersagt [!] werden muss“. Ohne hier auf den inhaltlichen Aspekt eingehen zu wollen – auch da wäre Nachhilfe dringend nötig! – muss auf die schon fast komische zeugmatische Verbindung der „radikalen und [!] ethischen Strömungen“ hingewiesen werden, die schon in nichts mehr dem Stilblüten-Typus „er schlug die Fensterscheibe und dann den Weg nach rechts ein“ nachsteht. Ist das noch Journalismus?

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Die Tiroler Woche driftet zunehmend in diese wirre rechts-national-katholische Welt ab, die sich ziemlich mit dem stellvertretenden CR decken dürfte. Ich selbst hab schon mal überlegt, Unternehmen, die dort inserieren, darauf anzusprechen. Weil die grenze zwischen trash-produkt und giftmüll zu oft überschritten wird.

guter leserbrief jedenfalls