Umso wichtiger ist es manchmal, innezuhalten und sich zu fragen, ob man eigentlich noch am richtigen Weg ist. Ich suche mir persönlich solche Momente des Innehaltens am Berg. Aber auch eine Gesellschaft braucht manchmal Momente, wo man verschnauft und überprüft, ob der Kurs noch stimmt. So etwas kann man Nachdenkpause nennen.
Eine Nachdenkpause dient dazu, bisherige Entscheidungen zu überprüfen und die zukünftigen abzuwägen. Dabei ist es eine der noblen Aufgaben der Politik, Entscheidungsprozessen jene Zeit zuzumessen, die jeweils angemessen ist.
Wendelin Weingartner wusste das. Der ehemalige Landeshauptmann hat sich vor einem Vierteljahrhundert für eine Nachdenkpause in Sachen Skigebietsentwicklung ausgesprochen. Das Ergebnis war das Tiroler Seilbahn- und Skigebietsprogramm, mit dem die Entwicklung geordnet werden sollte.
Günther Platter wusste das. Der Landeshauptmann hat sich für eine Nachdenkpause in Sachen Windkraft ausgesprochen, weil er die technische Erschließung der Berge für Windräder skeptisch sieht. Das Ergebnis liegt noch nicht vor sondern ist eine fortdauernde Diskussion über die Entwicklung eines Kriterienkatalogs Windkraft für Tirol.
Der Alpenverein wusste das. Deshalb hat er schon vor vielen Jahren die Erschließung der Alpen für beendet erklärt und seither keine neuen Schutzhütten mehr errichtet sondern sich auf den Erhalt und die Verbesserung bestehender Hütten konzentriert. Kürzlich hat der Alpenverein sogar eine bestehende Hütte in den hohen Tauern wieder rückgebaut.
Und die CIPRA weiß das. Deshalb hat sie sich für eine Nachdenkpause in Sachen touristischen Erschließung in Tirol ausgesprochen und zu einer breiten Diskussion aufgerufen. Ich halte das für einen wichtigen Aufruf: Nachdenken darüber, ob der Kurs noch stimmt. Immer mehr und immer neue Erschließungen. Immer spektakulärere Projekte werden geplant. Manche sehr erfolgreich, andere weniger erfolgreich. Und zeitgleich erreichen uns Bilder aus China über dortige Infrastrukturprojekte. Dagegen nimmt sich alles, was hierzulande angegangen wird wie ein Mickey-Mouse-Projekt aus.
Auch andere Regionen in den Alpen schlafen nicht: Manche rüsten ihre technische Infrastruktur auf. Andere entscheiden sich für Warteschleifen - zuletzt etwa St. Moritz, das in einer Volksabstimmung den Bau einer Skisprungschanze abgelehnt hat. Und andere Regionen entscheiden sich dafür, nicht die technische Infrastruktur aufzurüsten sondern auf die Überzeugungskraft der Natur zu setzen.
Manche Strategien sind erfolgreich, manche nicht. Nicht alle erfüllen alle notwendigen Aspekte der Nachhaltigkeit. Aber den meisten erfolgreichen Strategien ist eines gemeinsam: Der Nachdenkprozess darf ruhig die nötige Zeit dauern. Und wenn eine Entscheidung gefällt ist, dann darf sie umso intensiver verfolgt werden.
Wenn bei uns Entscheidungen gefällt werden hingegen, dann werden sie üblicherweise nicht akzeptiert. Ich erinnere nur an die Kalkkögel-Erschließung: Es ist in Ordnung von den Liftbetreibern, eine Erschließung zu versuchen. Die Entscheidung ging dagegen aus - und trotzdem ist nicht Schluss. So manche Touristiker verstehen einfach nicht, dass ein Nein einfach Nein bedeutet.
Auch umgekehrt gilt das: Viele Entscheidungen werden anders getroffen als ich sie treffen würde. Und ich setze mich mit aller Kraft dafür ein, dass sie anders getroffen werden. Aber wenn sie einmal gefallen sind, dann denke ich mir: Herr, hilf mir zu ertragen was ich nicht ändern kann. Also: Ich finde es gut, lange nachzudenken und nach einer Entscheidung forciert vorzugehen.
In Österreich herrscht so manches Mal eine andere Kultur vor: ein bisschen hier, ein bisschen dort. Aber jedenfalls nicht allzuviel Denken müssen, weil das könnte anstrengend sein. Ich finde das schade. Nachdenken hat meines Wissens nach noch nie geschadet. Und Nachdenken über die Zukunft einer der intensivsten Tourismusregionen der Welt und gleichzeitig einer der interessantesten Naturregionen lohnt sich da allemal. Ich habe selbst keine abschließende Antwort über die Entwicklung der technischen touristischen Erschließung in Tirol. Aber ich weiß, dass Nachdenken dabei hilft, die Antwort zu entwickeln.