Das offizielle Tirol-Bild brauche eine Korrektur heißt es heute in der Tiroler Tageszeitung. Und der SP-Abgeordnete und Werbeagenturbesitzer Thomas Pupp verlangt in einem seiner seltenen Landtagsanträge gar eine eine "Neukonzeption des offiziellen Tirol-Auftritts". Anlass ist die Diskussion darüber, wie das Land mit seiner Geschichte und dem Erinnern an seine Geschichte umgehen soll.
Ich habe jetzt zwei Tage nachgedacht, was mich an dieser Diskussion so stört, und ich glaube ich weiß es jetzt. Ich denke, es ist die Vorstellung dass es ein "offizielles Tirol-Bild" oder einen "offiziellen Tirol-Auftritt" überhaupt gäbe. Dahinter steckt nämlich entweder die Vorstellung eines Werbetexters oder eine recht obrigkeitsstaatliche Vorstellung davon, was ein Staat sei. Ich dachte eigentlich, wir hätten diese Phase schon überwunden und befinden uns in einem gesellschaftlichen Diskurs darüber, was Tirol eigentlich sein soll. Wenn nun darauf rekurriert wird, dass es ein "offizielles" Tirol-Bild gebe, dann reproduziert man genau jene Vorstellung, über die wir eigentlich schon hinweg sein wollten.
Ich will mir nicht vorschreiben lassen, wie Tirol zu sein hat. Ich wünsche mir eine offene Gesellschaft, in der es Platz für vieles gibt. Ich wünsche mir aber kein "offizielles Tirol-Bild", ganz unabhängig davon wie dieses Bild aussehen mag. Weder ein verstaubtes noch ein modernes. Ich wünsche mir eine Gesellschaft der Vielfalt.
Und ganz unabhängig davon wünsche ich mir einen andere politischen Umgang mit der Tiroler Geschichte und der Erinnerung an sie. Irgendwie ist es dabei schon putzig, wenn in der Tiroler Tageszeitung lapidar berichtet wird, die SPÖ sei für die Aberkennung der Ehrungen für den ehemaligen NS-Gaumusikleiter Sepp Tanzer - wo sie ihm selbst doch die Auszeichnungen verliehen hat, zuletzt noch 2008 die Ehrung mittels einer Schulbenennung. Ich finde, da sollte nicht ganz unerwähnt bleiben dass es schwarz-grün brauchte, um diese Ehre wieder abzuerkennen.
Damit wird es nicht getan sein, bei Weitem nicht. Als ehemaligem Gedenkdiener in einer KZ-Gedenkstätte wird man mir schwer meine persönliche Haltung dazu absprechen können. Wir haben aber auch schon politisch erste Maßnahmen gesetzt - dazu gehören etwa 100.000 Euro im Jahr 2014 für Forschungen zur NS-Erinnerungskultur. Und ja, dazu gehört auch das Wedekind-Gutachten - wo man sich nun mokiert, es sei "verschämt" auf die Homepage gestellt worden; immerhin wurde es beauftragt und veröffentlicht; das kann man von den vergangenen 68 Jahren SPÖ-Regierungsbeteiligung in Tirol so ja nicht behaupten. Und auch damit wird es nicht getan sein: Wir haben einen neuen Umgang mit der Erinnerungskultur, insbesondere auch an die NS-Zeit im Koalitionsprogramm festgeschrieben. Und wir sind in diesem Moment dran, entsprechende Regierungsanträge vorzubereiten. Sind sie schon fertig? Nein. Wurde Rom an einem Tag erbaut? Auch nein. Wird es mit den derzeit in Vorbereitung befindlichen Regierungsbeschlüssen schon getan sein? Wiederum nein.
Es wird viele Dinge geben, über die wir uns unterhalten werden müssen - der Umgang mit dem Standschützenmarsch gehört dazu. Angestoßen von Markus Wilhelm gibt es darüber zum Glück eine Diskussion - und sie hat sowohl in der Landesverwaltung schon einiges bewegt wie sie auch im Blasmusikverband Diskussionen angestoßen hat. Wo uns diese Diskussion hinführen wird? Das weiß ich noch nicht; wenn ich das wüsste bräuchte es die Diskussion ja nicht. Ein bisschen Geduld wird man hier von allen Beteiligten wohl verlangen dürfen. Der Standschützenmarsch wird aber ebenfalls nicht das einzige sein, worüber wir reden sollten. Noch immer ist in vielen Köpfen in Tirol und auch in der Tiroler Politik noch nicht angekommen, wie ein bewusster Umgang mit Tirols Geschichte aussehen könnte, und dass es in dieser Geschichte Licht und Schatten gibt - im Land ebenso wie in vielen Familien. Ich habe mich deshalb darüber gefreut, dass die Premiere von "Zersplitterte Nacht" im Metropol-Kino gut besucht war: das Thema ist die Pogromnacht vom 9. November 1938 in Innsbruck und der Mord an vier Innsbruckern in dieser Nacht. Und ich habe den Diskussionen dort vor Ort entnommen, dass es jetzt vielleicht die Chance gibt, endlich einmal etwas gegen das Grab des Mörders Gerhard Lausegger am Innsbrucker Westfriedhof zu tun. "Das gibt uns jedes Mal einen Stich ins Herz, wenn wir am Weg zum jüdischen Friedhof daran vorbei müssen" sagte Esther Fritsch, die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde dazu. Und die Reaktion ihrer Gesprächspartnerin dazu hat mich sehr gefreut, vielleicht wird sie sie demnächst selbst öffentlich machen.
Ein kritischer und verantwortungsvoller Umgang mit der NS-Geschichte Tirols ist nichts, was sich innerhalb einiger Wochen verwirklichen lässt. Er ist vor allem nichts, was sich verordnen lässt, schon gar nicht in Form eines "offiziellen Tirol-Bildes". Ein kritischer und verantwortungsvoller Umgang ist ein demokratischer Umgang, und ein "offizielles Tirol-Bild" ist das Gegenteil eines demokratischen Umgangs.